W (69) und M (57) über ihre Lust im Alter

Über die Bereicherung, Erotik und Intimität im Alter zu erleben – vielleicht sogar sinnlicher, unkonventioneller und erfüllender als in jüngeren Jahren
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Quelle: Shutterstock, Rapeepat Pornsipak

Läuft Sex im Alter eigentlich irgendwann aus? Oder verändert er sich? Wird er einfacher oder schwerer, schneller oder langsamer, befriedigender oder vielleicht sogar ganz anders als gewohnt?
Wir haben Gabriela* (69) und Erik* (57) gefragt und erfahren, dass weder das Alter noch fehlende feste Partner oder Erektionen uns von „der schönsten Sache der Welt“ abhalten können.
*(Namen von der Redaktion geändert)

Foto: Shutterstock, Andreas Saldavs

Gabriela (69): „Kommunikation ist das Wichtigste, einander führen und sagen, was einem gefällt oder was man nicht mag.“

Gabriela (69) ist Single und erzählt lachend: „Das war in Corona-Zeiten, als ich die Profile der Partner-Such-Seite durchblätterte und mich fragte: ‚Will ich das eigentlich wirklich noch?‘“ Sie hat sich bewusst entschieden, sagt: „Die Phase der festen Partnerschaften ist wohl vorüber und ich möchte mir keinen Kerl mehr an den Hals legen, der womöglich noch gepflegt und bekocht werden will. Ich will selbstbestimmt, frei und aktiv leben.“ Auf Sex möchte sie dennoch nicht verzichten und begegnet Männern, indem sie ihren Hobbies nachgeht: Ski fahren, in der Volkshochschule oder bei Vorlesungen in der Uni. „Und über ähnliche Interessen treffen sich dann auch mal Augenpaare oder Hände.“

Ihre Partner leben oft in festen familiären Strukturen, die Fronten sind klar gesteckt: „Es geht um Gedankenaustausch und dieser Gedanke kann dann auch mal bis ins Bett reichen.“ Nicht mehr, nicht weniger. Gabriela sieht das entspannt und findet: „Mal etwas anderes ausprobieren kann für alle Parteien eine Bereicherung sein, denn man kann die Zügel lockerer lassen und dennoch seine Verantwortung tragen. Einer meiner Partner, mit Frau und Kindern, hat das mal als ‚soziale Treue‘ beschrieben.“

Auf die Frage, ob sie Sex im Alter anders erlebt, sagt sie: „Die Prioritäten verschieben sich. Für mich ist die Zärtlichkeit im Bett etwas ganz, ganz Wichtiges, generell steht der Genuss im Vordergrund.“ Und das – im Gegensatz zu früher – auf beiden Seiten: „In jüngeren Jahren stehen die Männer ja wesentlich mehr unter Testosteron, als Frau hatte ich das Gefühl, dass ich da nicht so zum Zug kam, in meiner Ehe war das weniger prickelnd.“ Doch im Alter verschiebt sich der Hormonhaushalt auch beim Mann, weswegen er mehr bereit sei, auf die Frau einzugehen. „Jedenfalls bedingt. Das wird dank der kleinen blauen Pille gern überspielt, weil in meiner Generation ein älteres Männerbild überwiegt: Es geht um Leistung und es sich und der Frau ‚beweisen‘ zu wollen. Die neuen Generationen haben die Chance, das zu ändern, und da ändert sich ja auch viel.“


Was sie mittlerweile anders macht, ist, ihre Bedürfnisse klarer zu äußern, ein Tipp, den sie Frauen egal welchen Alters mitgeben möchte: „Kommunikation ist das Wichtigste, einander führen und sagen, was einem gefällt oder was man nicht mag.“


Speziell für älter werdende Frauen hat sie einen zusätzlichen Ratschlag: Der abnehmende Östrogen-Haushalt führt zum Abbau der Scheidenschleimhaut, was wiederum Scheidentrockenheit begünstigt. Beim Gynäkologen erhältliche Hormon-Cremes bauen diese wichtigen Schleimhäute wieder auf – Ergebnis: smootherer Sex und stärkere Abwehrkräfte gegen Infektionen.

Quelle: Shutterstock, Nadino

Erik (57): „Sexualität ist weitaus mehr als aufeinander herumzuturnen und hat ganz viel mit Intimität und Nähe zu tun.“

Für Erik (57) hat das Älterwerden und seine sich damit verändernde Sexualität eine völlig neue Spielwiese eröffnet und ihn näher an seine Frau gebracht als je zuvor. Angefangen hat die Reise allerdings mit einem Problem, welches junge wie ältere Männer kennen: mit Erektionsschwierigkeiten.
„Das hat sich so langsam eingeschlichen“, erzählt der Mann mit den Lachfalten und dem Dreitagebart, „und ich habe mich geschämt. Ich habe niemandem davon erzählt, außer meinem Arzt, und suchte heimlich im Internet nach Rat. Der war: Hol Dir neue Anregungen, nimm Tabletten. Hat alles nichts geholfen. Also behauptete ich keine Lust zu haben, wenn meine Frau intim werden wollte. Das war auch nicht schlimm, wir sind seit knapp dreißig Jahren verheiratet und mir erschien Sex im Alter eh nicht mehr so wichtig.“


Er schaut zu Boden und spricht leiser weiter: „Was aber zum Problem wurde, war, dass das Kuscheln ebenfalls wegfiel. Denn ich befürchtete jedes Mal, dass meine Frau ‚mehr‘ wollen könnte, und blockte deswegen jede körperliche Nähe ab.“ Als er bemerkte, wie traurig dies seine Frau machte, und sie ihm ihre Vermutung offenbarte, dass er sie nicht mehr liebe, sah er ein, dass es nur einen Weg für ihn gab: sich zu öffnen.
„Das fiel mir wahnsinnig schwer“, gesteht er. „In meinem Kopf spukten Gedanken wie ‚Ich muss meinen Mann stehen, das gilt auch für die Sexualität!‘. Ehrlich gesagt wurde mir erst bei den Gesprächen mit meiner Frau klar, unter welchem unbewussten Leistungsdruck ich stand. Meine Frau stellte mir dann eine interessante Frage, die mich lange beschäftigte, sie wollte wissen was genau eigentlich Sex für mich sei.“
Er lächelt. „Meine Antwort war: der Akt natürlich, Petting und alles, was drum herum läuft, wobei beim Streicheln es natürlich darauf ankäme wo. Daraufhin meinte meine Frau: ‚Okay, wenn Streicheln außerhalb der Geschlechtsteile kein Sex ist, dann würde es Dich ja auch nicht stören, wenn ich es mit jemand anderem mache – oder?‘ Und da merkte ich: Doch, das würde mich sehr stören!“

Erik wurde klar, dass Sexualität weitaus mehr ist als, wie er es ausdrückt, „aufeinander herumzuturnen“ und ganz viel mit Intimität und Nähe zu tun hat. „Selbst ein Blick kann so intim sein, dass er sexuell ist.“


In vielen Gesprächen ging das Paar den unbewussten Mustern auf den Grund, die wir per unseren Geschlechterrollen eingeprägt bekommen. „Als Mann musst Du ‚performen‘ und als Frau musst Du “‚pleasen‘, also gefallen und zufrieden stellen. Meine Frau und ich begannen, körperlich viel zu experimentieren, und es brauchte Zeit, aber Schicht für Schicht fielen diese eingeprägten Muster ab, bei mir war das: ‚Ich muss Leistung bringen, Sex ist nur Sex, wenn ein möglichst leidenschaftlicher Akt dabei ist, meine Aufgabe als Mann ist es, die Frau zum Höhepunkt zu bringen, sonst bin ich nicht »Mann genug«.‘ Heute ist Sex zwischen uns intimer als je zuvor, es ist ganz viel Nähe, Zärtlichkeit, Streicheln, Kuscheln, Küssen, lange tief in die Augen sehen, sich dem anderen wirklich inniglich nackt zeigen und damit meine ich nicht nur körperliche Nacktheit, sondern wirklich alle Schichten fallen lassen und den anderen in sich hineinlassen, eindringen lassen auf einer viel feineren Ebene. Das ist für mich als Mann – der es gewohnt war, dass nur ich ‚eindrang‘ – eine ganz tiefe berührende Erfahrung und wesentlich erfüllender als der bisher gelebte schnelle Orgasmus.“


Aber auch die „normale“ Sexualität sei ohne Erektion möglich, erzählt Erik. Denn es ist problemlos möglich, auch ohne Erektion miteinander zu schlafen. „Das ist dann eher ein Ineinanderliegen, manchmal völlig ohne körperliche Bewegung, aber ein unglaublich bereicherndes Gefühl von Nähe, Intimität und Fülle. ‚Gelernt‘ haben wir diese Variante der Sexualität bei einem Kurs bei Diana Richardson, die auch Bücher schreibt. Kann ich wirklich jedem – gerade Männern, egal welchen Alters – empfehlen.“

INFOBOX:

Diana Richardson, Sexualtherapeutin und Autorin, ist gebürtige Südafrikanerin und widmet sich nach einem Abschluss in Jura seit 1979 der Erforschung der Sexualität. Sie beschreibt konventionellen Sex als eine Routine, die immer demselben Muster folgt: Vorspiel, Akt, Höhepunkt, als ein Aufbau von immer stärker werdender Spannung, die sich in einem Ziel entlädt: dem Orgasmus. Und wo es ein Ziel gibt, gibt es Leistung und Erfolg(-sdruck). 

 

Ihr Entwurf einer anderen Art von Sexualität ist das genaue Gegenteil und nennt sich „Slow Sex“, ein „Sich-ineinander-Entspannen“ ohne Ziele und Erwartungen, bei dem der subtilen Sensibilität des Körpers sowie unserer Innenwelt mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird als der schnellen Stimulation und Sensation. 

 

Von Diana Richardson gibt es Bücher, Podcasts und Audiobücher, außerdem gibt sie als Coach-Kurse.

 

Kleiner Tipp: Wenn Du im Netz nach Diana Richardson und ihren Büchern und Kursen forschst, dann lass nicht zu, dass Dein Monkey-Mind sich an dem Wort „tantrisch“ oder „Tantra“ aufhängt und die „Esoterik-Mist-Schranke“ fällt. Du bringst Dich sonst selbst um eine ganz wertvolle, vielleicht sogar lebensverändernde Bereicherung.

Wie erlebst Du die „schönste Sache der Welt“ mit zunehmendem Alter, welche Erfahrungen hast Du gemacht?

17 Antworten

  1. Ich bin seit 32 Jahren verheiratet und es ist ebenso legitim und wunderbar, sich nach einer so langen Zeit zu trennen und scheiden zu lassen. Ich erlebe in meinem Bekanntenkreis viele Paare, die nur noch zusammen sind wegen der Kinder, wegen dem Haus, wegen der gemeinsamen Vergangenheit, wegen…wegen…wegen… Für mich macht das keinen Sinn.

  2. Guten Tag, Ihr Interview hat mich zutiefst berührt. Ich bin Brigitte, selbst 67 Lenze und es hat mir eine ganz wertvolle Perspektive verschafft, die Gedanken und Gefühle des Herren Erik zu verfolgen. Mein eigener Partner litt lange Zeit unter Impotenz und es ist uns ie recht gelungen, uns darüber wirklich auszutauschen. Es gab viel Blockaden und Abgrenzung. Wir haben uns dann – aus anderen Gründen – getrennt.

  3. Ich bin 87 und sexuell immer noch sehr aktiv. Meine Partnerinnen sind davon seit jeher überfordert und ich würde wetten, dass sie eine ähnliche Sicht auf Männer haben wie Ihre Interviewpartnerin. Ich denke hier liegt der Ball bei den Frauen, sie müssen sagen was sie wollen!

  4. Sehr geehrter Herr Sommer, ich mag an Ihrem Beitrag, das Sie den Rednern Freiraum geben, dennoch fehlt mir aus journalistischer Sicht ein Fazit. Ich als Leserin bilde mir zwar auch selbst eines, würde es jedoch begrüßen, wenn Sie ebenfalls etwas vorgeben. Ansonsten hab eich die Interviews gern gelesen. Mit freundlichen Grüßen, Marina Kloster

  5. Sehr geehrter Herr Sommer, ich mag an Ihrem Beitrag, das Sie den Rednern Freiraum geben, dennoch fehlt mir aus journalistischer Sicht ein Fazit. Ich als Leserin bilde mir zwar auch selbst eines, würde es jedoch begrüßen, wenn Sie ebenfalls etwas vorgeben. Ansonsten hab eich die Interviews gern gelesen. Mit freundlichen Grüßen, Marina Kloster

  6. Durchaus spannend dieses Thema sowohl aus der männlichen, als auch aus der weiblichen Perspektive zu beleuchten. Ich finde es gut, über Sex im Alter zu reden und wünsche mir dass dies mehr statt findet. Wenn meine Enkel hören, dass Oma und Opa Sex haben rümpfen sie die Nase. Dies erachte ich als überholt und plädiere für mehr Offenheit. Mit Ihrem Artikel machen Sie einen guten Anfang

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