Der Mann und das Meer – Atelierbesuch bei dem Künstler Jochen Hein

„Da kann man stundenlang aufs Meer hinausschauen – das Meer schaut doch nie zurück!“
Zitat Jochen Hein
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1000-mal gesehen, 1000-mal fotografiert. Doch keiner malt das Meer so wie Jochen Hein. Seit Jahren lässt der Hamburger Künstler mit Husumer Wurzeln sein Publikum in die perfekte Illusion abtauchen.

Wie Silberperlen tanzt das Licht auf flüssigem Blau. Ein unruhiges Bild, gleißend, flirrend, flüchtig. Und wenn sich reflexartig die Augen zu kleinen Sehschlitzen schließen, setzt das Gehirn aus Erinnerungsfetzen plötzlich ein komplettes Ganzes zusammen: Wir sitzen im Strandkorb und schauen aufs Meer. Die Sonne scheint und der Blick verliert sich am Horizont. Etwas schon fast Alltägliches, Gewohntes, Selbstverständliches, das erst durch Corona plötzlich wieder zu einer schmerzenden Sehnsucht wurde, als freies Reisen an die Küsten dieser Welt zum Wunschtraum, einer wagen Illusion wurde.

Abtauchen in gleißendes Licht

Gerettet hat uns damals ein Besuch im Atelier des Hamburger Künstler Jochen Hein, in den Galerien, in denen er ausstellt, das Blättern in dem Kunstband „Reflexion“. Ein Werk, das einen gleich vom Cover aus in sich hineinzieht, geradezu verschlingt. Und so tauchen wir ab in die gleißenden Landschaften des Meeres, die bei Jochen Hein wie pures Licht zerfließen. Und gehen in eine Schule des malerischen Sehens, in der die Wirklichkeit mit unserer Wahrnehmung spielt.

In der Realität haben seine Bilder einen Sog-Charakter, dem man sich nicht entziehen kann und will. Manche sind achteinhalb Meter lang und zwei Meter hoch. Verstörend, irritierend, einladend und aufregend zugleich. Denn der gebürtige Husumer schafft es, trotz einer gewissen Monotonie eine ganz eigene Welt zu erschaffen, in der sich unsere Imagination von Wasser spiegelt. Die pure Reflexion. So realistisch mit Acrylfarbe auf Baumwolle gebannt, dass der Betrachter meint, das Meer riechen, hören, geradezu spüren zu können.

Schon als ganz kleiner Junge beginnt der Mann hinter der großen, schwarzgerahmten Brille und dem akkurat gestutzten, silbergrauen Bart zu malen. Damals in Husum, als er mit seinen Eltern im Hinterhaus des heutigen Theodor-Storm-Museums wohnt. „Ich konnte mit Ballspielen und Raufereien nichts anfangen“, sagt der heute 61-Jährige. So wurde Hein zum Stubenhocker. Beeinflusst durch die Gene – Großvater und Mutter waren ebenfalls künstlerisch talentiert – bringt er schon im Alter von vier und fünf Jahren alle Segelklassen vom Optimisten bis zum Viermaster aufs Papier. Er zeichnet die Takelage, um sie zu durchschauen, die Masten und das Tauwerk und wie beides mit den Segeln zusammenspielt. Zeichnen und Malen als Erkenntnisprozess. „Das war für mich ein ganz natürlicher Vorgang, der mir leichtfiel, und so konnte ich Punkte sammeln, wo es mir auf anderen Gebieten nicht gelang“, sagt der Nordfriese.

Bilder, für die es keinen Rahmen gibt

Die ersten eindrücklichsten Erfahrungen mit dem Meer macht er als Dreijähriger auf dem Segelboot seines Großvaters bei einem Törn rund um die dänische Insel Fünen. Da haben sich ihm Bilder in die Seele gebrannt, für die er bis heute noch keinen Rahmen gefunden hat. „Im Wesentlichen reduziert sich mein ganzer Werdegang als Maler darauf, den Weg zurückzufinden zu diesen ersten Bildern“, sinniert der Mann mit den wasserblauen Augen.

Immer wieder steht Jochen Hein am Meeressaum, dort, wo die Nordsee gewaltig wird, die Sturmfluten das Land fressen. Momente in der Jammerbucht vor dem Sturm. Endlose Strandspaziergänge bei Esberg im tosenden Wind. Himmel voller Wolkengetürm. Nebelbänke, die sich über dem Wasser aufbauen. Das nimmt er als kleiner Junge und später als junger Mann in sich auf. Es wird zum Teil seiner DNA. Viel später erst wird ihm klar, wie sehr diese Naturerlebnisse ihn prägen und vor allem, was ihn als Mensch und Maler umtreibt: Was sehe ich da eigentlich? Und warum bedeutet es mir etwas? Jochen Hein: „Meine Bilder sind das geteilte Unvermögen, wirklich zu erkennen, was wir doch so sehr durchdringen möchten. Man bleibt immer an der Oberfläche.“

Quelle: Shutterstock, Focus and Blur

Es wird eine Schlangenlinie werden, die den jungen Jochen Hein zu dem berühmten Maler macht, dessen Bilder die Hamburger Kunsthalle zeigt, die auf Ausstellungen in Berlin, Basel und New York zu sehen sind, die Privatsammler weltweit erwerben. Denn als der Künstler 1980 an der Hamburger Hochschule für angewandte Wissenschaft zu studieren beginnt, sind noch Minimal Art und Konzeptkunst angesagt, auf jeden Fall keine gegenständliche Malerei. Um sich vom Kunstmarkt unabhängig zu machen, gründet er zunächst einmal sein eigenes Unternehmen. Das lässt ihn frei werden, um dort anzukommen, wovon er schon früh spürt: „Das muss ich machen! Was denn sonst?!“ Er sagt: „Es ist das, was mich zum besseren Menschen macht. Wenn ich einen kurzen Moment von Flow am Tag habe, bin ich deutlich zuversichtlicher und leichter versöhnt mit dem Leben.“

Quelle: Shutterstock, Focus and Blur

Eindrücke einer Landschaft aufsaugen

Wie der Mann da konzentriert in einem schwarzen T-Shirt über der mit Farbe beklecksten, schwarzen Hose in seinem Atelier steht, sieht man schnell: Er arbeitet sich nicht nur am Meer ab. Es sind Parklandschaften, die wie Traumbilder erscheinen, eisbedeckte Gebirge, die sich im fahlen Zwielicht aus dem Nichts erheben, und Portraits, die den Betrachter durch ihre Eindringlichkeit fordern. Er reist deshalb viel, will aufnehmen, sehen, um zu verstehen. Die Ränder der Welt haben es ihm angetan, dort, wo das Licht unwirklich wird, die Landschaft karg. Er reiste in die Antarktisregion, war sogar am Südpol. Jochen Hein hat dort viel fotografiert. Aber es geht ihm nicht darum, Vorlagen für seine Bilder zu fertigen. Er will vielmehr den Eindruck einer Landschaft aufsaugen, den er später in seinem Hinterhof-Atelier in einer ehemaligen Remise durch seine Malerei zu durchdringen versucht.

Was bedeutet Jochen Hein, dem gebürtigen Mann vom Meer, das Wasser, wenn er es immer und immer wieder malt, malen muss? „Die Landschaft war ja da, ich habe sie mir nicht ausgedacht. Das sie mir etwas bedeutet, das ist das, was mich merkwürdig berührt und mich umtreibt.“ Er wird das Meer immer und wieder malen.

INFO

Ausstellung: Ab 26. Oktober 2022 zeigt die Hamburger Galerie Commeter die Bilder von Jochen Hein in einer Einzelausstellung
www.commeter.de

Buch: „Reflexion“ mit 140 Bildern von Jochen Hein, 48 Euro, Hatje Crantz Verlag

Film: https://reflexion.jochenhein.com/video.html

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