Ausgedient, aussortiert, ausgegrenzt – Alters-diskriminierung am Arbeitsplatz

„Und plötzlich hatte ich das Gefühl, völlig überflüssig zu sein.“
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Quelle: Shutterstock, Elnur

Immer mehr ältere Arbeitnehmer:innen haben das Gefühl, aufgrund ihres Alters nicht mehr mitten im Job zu stehen, sondern nur noch daneben. Ist es wirklich so, dass es schon ab 40 schwierig wird, sich im Job weiterzuentwickeln? Und hat man überhaupt noch eine Chance auf berufliches Fortkommen und auf dem Arbeitsmarkt, wenn die 50er-Grenze erreicht bzw. überschritten ist?

Quelle: Shutterstock, Dragana Gordic

Christine ist eine fröhliche Frau, die mitten im Leben steht. Sie zeigt sich selbstbewusst mit einem Pixie-Cut in Naturgrau, ist dezent geschminkt und trägt am liebsten Jeans, Bluse und Sneakers. Christine vermittelt nicht den Eindruck einer Frau, die Ausgrenzung erfahren musste, sich überflüssig und zum „alten Eisen abgeschoben“ fühlte. Aber genauso ist es ihr passiert. Christine musste erleben, was es heißt, am Arbeitsplatz altersbedingt immer mehr ins Abseits gestellt zu werden, und dass dieser Dauerstress sie krankmachte.
Christine war 56, als ihre Vorstellung von der Arbeit bis zur Rente in ihrem Unternehmen, für das sie schon 18 Jahre arbeitete, wie eine Seifenblase zerplatzte.
Sie erinnert sich: „Als der neue Geschäftsführer das Ruder in unserem Unternehmen übernahm, strukturierte er gleich alles um. Aus dem Vertrieb wurde beispielsweise das ‚Sales Department‘ und ich wurde zur ‚Human Resources Managerin‘. Außerdem wurde eine junge Kollegin, die sich um das ‚Strategic Human Resource Development‘ kümmern sollte, eingestellt.“
Nach und nach übertrug ihr neuer Chef immer mehr Aufgaben an ihre junge Kollegin. Sie habe ja genug zu tun und man wolle sie entlasten, bekam sie zur Antwort, als sie nachfragte.
Und so ging es weiter. Christine wurde plötzlich von Weiterbildungen ausgeschlossen. Auf ihre Frage, warum nur ihre Kollegin daran teilnehmen dürfe, erhielt sie die Antwort: „Lassen Sie da mal besser die Jugend ran. Da fallen noch viel mehr englische Begriffe. Sie mussten ja schon nach ‚Human Resources‘ googeln. Frau P. kann Ihnen später erklären, was für Sie wichtig ist.“
Einige Zeit später wurde durch ihre Kollegin eine neue Stellenanzeige geschaltet. In diesem Stellenangebot, das ohne sie entworfen worden war, war plötzlich die Rede von einem jungen und hoch motivierten Team zwischen 25 und 35 Jahren, das den oder die Allrounder-Chaosbändiger:in suchte. Christines Einwand, dass nicht alle Mitarbeiter:innen des Unternehmens zwischen 25 und 35 Jahren jung seien, wurde mit „Das stimmt. Aber die anderen fühlen sich noch so. Sie sollten da nicht von sich ausgehen!“ beantwortet.
Christine begann, Tagebuch zu führen. Wann immer sie das Gefühl hatte, dass sie ungerecht behandelt wurde, schrieb sie es auf:

  • Sie wurde für Fehler verantwortlich gemacht, die nachweislich ihrer Kollegin unterlaufen waren.
  • Ihre Ideen wurden als die ihrer Kollegin oder ihres Chefs ausgegeben.
  • Bei Gehaltserhöhungen und Prämien ging sie oftmals leer aus.
  • Sie wurde immer weniger in die Prozesse der Personalplanung einbezogen.
  • Die Aufgaben zur Personalrekrutierung wurden an ihre Kollegin übertragen.
  • Sie wurde nicht mehr als erste Ansprechpartnerin des Unternehmens für Personal auf der Website genannt.
  • Ihr wurden Aufgaben übertragen, die nichts mit ihrem Beruf zu tun hatten. Sie musste sich beispielsweise um die Bewirtung der Gäste des Unternehmens kümmern.

 

Christine fühlte sich mehr und mehr degradiert und ihrer Kompetenzen beraubt. Jeder Tag wurde für sie zur Qual. Sie hatte das Gefühl, völlig überflüssig und minderwertig zu sein. Als sie es nicht mehr aushalten konnte, Boreout und Depressionen immer schlimmer wurden, ließ sie sich krankschreiben. Kurze Zeit später hielt sie die Kündigung aus „betriebsbedingten Gründen“ in ihren Händen.

INFOBOX:

¹Boreout
Wenn Mitarbeiter am Boreout leiden, leiden sie an Langeweile und Unterforderung im Job – ihr Potenzial bleibt ungenutzt, und im schlimmsten Fall entstehen gesundheitliche Folgen.
Quelle: Boreout –  Wenn Langeweile zur Belastung wird | Die Techniker –  Firmenkunden (tk.de)

Quelle: Shutterstock, Andrey_Popov

Christine ist eine von vielen: Altersdiskriminierung ist eine der am weitesten verbreiteten Formen der Benachteiligung

Unsere Gesellschaft wird immer älter. Schon heute ist jede zweite Person in Deutschland älter als 45 Jahre alt. Ein Drittel der Beschäftigten ist älter als 50 Jahre. Das ist gut so, sollte man meinen. Denn mit dieser Altersgruppe steht den Unternehmen eine nicht zu unterschätzende Quelle von Erfahrung, Zuverlässigkeit, sozialer Kompetenz und viel anderem mehr zur Verfügung.
Aber leider sehen das viele Unternehmen nicht so. Sie setzen auf die „schöne, junge Arbeitswelt“. Dass sie das nicht dürfen, wissen sie. Das deutsche Altersdiskriminierungsgesetz (AGG) und der Artikel 21 der EU-Grundrechtscharta verbieten Ungleichbehandlungen. Trotzdem haben die Antidiskriminierungsstelle des Bundes und die Gerichte viel zu tun, wenn es um die Chancengleichheit von Alt und Jung am Arbeitsmarkt geht. Auf der einen Seite sollen die Menschen länger in der Erwerbstätigkeit bleiben, auf der anderen Seite werden sie aufgrund ihres Alters ausgegrenzt. Altersdiskriminierung ist die am weitesten verbreitete Form von Benachteiligung – nicht nur in Deutschland. Eine Studie der Antidiskriminierungsstelle des Bundes deckte auf, dass jeder dritte Mensch Altersdiskriminierung erfahren muss.


Sind nur ältere Menschen von Altersdiskriminierung betroffen?


Nein, diese Art von Benachteiligung kann alle treffen. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes schreibt dazu auf ihrer Website:
„Prinzipiell kann Altersdiskriminierung Personen aller Altersgruppen treffen. Dabei sind ältere und jüngere Menschen aber beispielsweise bei der Arbeitssuche und in Bewerbungsverfahren einem höheren Diskriminierungsrisiko ausgesetzt. Und die Studie zeigt auch: Insbesondere Frauen und Menschen mit Behinderungen und chronischen Krankheiten berichten deutlich häufiger davon, aufgrund ihres hohen Lebensalters diskriminiert worden zu sein.“

Quelle: Antidiskriminierungsstelle –  Alter

Ursachen für die Altersdiskriminierung am Arbeitsplatz


Warum gibt es Ausgrenzung aufgrund des Alters am Arbeitsplatz? Warum nutzen Unternehmen nicht das Potenzial der älteren Arbeitnehmer:innen? Warum verzichten Unternehmen auf innovative Ideen, die sich aus verschiedenen Sichtweisen und der Kooperation von junger und älterer Generation entwickeln können?
Wissenschaftler, angefangen von Ökonomen über Politologen bis hin zu Psychologen, beantworten diese Fragen so:

  • Jüngere Arbeitnehmer:innen sind leichter zu formen 
  • Jüngere Mitarbeiter:innen gelten als aktiver, attraktiver, gesünder, kreativer und vermitteln ein dynamisches und zukunftsorientiertes Bild eines Unternehmens
  • Vorherrschende Altersstereotypen wie:  
    • im Alter lernt man schlechter
    • ältere Menschen sind unflexibel
    • sie lassen sich nur ungern etwas sagen
    • sie sind oft krank, können nicht mehr mithalten
    • sie kommen mit Veränderungen nicht klar
    • sie beherrschen die neue Technik nicht
  • Neue Interessenkonflikte zwischen Alt und Jung; Zuverlässigkeit und Loyalität vs. Work-Life-Balance und Kicker im Pausenraum
Quelle: Shutterstock, ClareM

Aktiv werden gegen Altersausgrenzung im Job

Altersdiskriminierung verletzt und beschämt, denn die Betroffenen werden auf ihr Alter reduziert. Sie werden direkt oder indirekt darauf hingewiesen, dass sie zu alt (oder zu jung) für das Unternehmen und den Arbeitsmarkt sind. Diese Demütigungen sind schwer zu verkraften und können im schlimmsten Fall krankmachen.
„Ich habe viel zu lange ausgeharrt und jeden Tag auf Besserung meiner Situation gehofft“, erinnert sich Christine an die Zeit der Ausgrenzung in ihrem Unternehmen. „Ich hätte mir viel erspart, wäre ich eher gegangen. Aber 18 Jahre Betriebszugehörigkeit schmeißt man ja nicht so einfach hin. Außerdem war mein Selbstbewusstsein völlig zerstört. Ich war tatsächlich der Meinung, dass ich viel zu alt für etwas Neues sei.“


Ihr Rat: „Betroffene sollten raus aus der ‚Alters-Scham-Ecke‘ und sich gegen Altersdiskriminierung wehren. Sie sollten sich an ihren Betriebsrat wenden, Verbündete und Hilfe suchen. Es ist wichtig, dass die Vorurteile in den Köpfen gegenüber älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern abgebaut werden. Wir sind zwar älter, haben aber noch genug Power, um zu arbeiten. Die müssen wir ja auch haben. Wir können ja nicht alle bis zum Rentenalter zu Hause sitzen.“

Quelle: Shutterstock, Dragana Gordic

Herausforderung mit 58

Christine hat nun eine neue Aufgabe vor sich. Sie stellt sich der Herausforderung der Jobsuche mit 58 Jahren. Dass das nicht einfach wird, weiß sie. Trotzdem ist sie motiviert und denkt positiv, denn es gibt mittlerweile auch vielversprechende Signale vom Arbeitsmarkt: Immer mehr Unternehmen setzen verstärkt auf die Vorteile der Alters-Diversität. Der Fachkräftemangel, das höhere Renteneintrittsalter, das Interesse an Erfahrung und andere Faktoren begünstigen diese Entwicklung.
Absagen hat sie in ihrem Bewerbungsprozess einkalkuliert. Wie wird sie darauf reagieren? „Das kommt darauf an“, antwortet sie nachdenklich. „Wenn ich das Gefühl habe, dass mein Alter der Absagegrund sein könnte, werde ich bestimmt nachfragen. Und das nicht, um doch noch den Job zu bekommen. Ich wünsche mir, dass Unternehmen für das Thema Alters-Diversität sensibilisiert werden. Und dazu kann ich einen kleinen Beitrag leisten.“

INFOBOX:

Ansprechpartner bei Altersdiskriminierung

Im Unternehmen sind der Betriebsrat oder die Personalabteilung mögliche Ansprechpartner.
Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes steht ebenfalls mit Rat und Tat zur Seite.
Betroffene können telefonisch um Hilfe suchen: 030 185 55 18 65, per Fax: 030 18 55 54 18 65 oder per E-Mail: beratung@ads.bund.de ihre Probleme schildern.

Habt Ihr auch schon einmal Ausgrenzung aufgrund Eures Alters erlebt und wenn ja, was genau ist Euch widerfahren?
Wie seid Ihr damit umgegangen? Seid Ihr im Unternehmen geblieben oder habt Ihr noch mal neu angefangen?

8 Antworten

  1. Mir ist genau dasselbe passiert. Ich war fast 40 Jahre in der Firma, war nie krank, habe zugunsten der Kollegen mit Kindern auf Urlaub verzichtet. Dann übernimmt der Junior die Firmenleitung und plötzlich habe ich ausgedient.

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