Ich werde zunehmend anspruchsvoller – auch gnadenloser, was andere betrifft. Dabei sage ich mir in aller Regelmäßigkeit, zugegebenermaßen mit etwas weniger Selbstreflexion: „Das ist Deinem Alter geschuldet.“ Gleichzeitig – fast noch im selben Atemzug – überlege ich, ob ich nicht etwas an meiner Einstellung ändern sollte …? Es würde vermutlich vieles vereinfachen, weniger Strenge walten zu lassen. Ein zu hoher Anspruch an andere könnte zumindest auf Dauer in die Einsamkeit führen. Es ist auf jeden Fall ratsam, sich zu fragen, ob man selbst dem hohen Anspruch gerecht wird, den man an andere stellt. Also lassen Sie „Gnade“ walten, wenn Sie Freunde suchen.
Die intensivste Zeit der Freundschaften …
Mit Wehmut erinnere ich mich an frühere Zeiten, als mir meine Freundschaften noch so endlos und für die Ewigkeit erschienen. Damals, als wir 14, 15 oder auch schon fast 16 Jahre alt waren. Einmal sagte eine meiner besten Freundinnen wie aus heiterem Himmel zu mir: „Ich wünschte, es würde ewig so bleiben, nur du und ich ohne ‚blöde‘ Typen …“ Wir durchstreiften gerade in trauter Zweisamkeit den Wald. Es war am Nachmittag, vielleicht nach der Schule. Damals gab es weder Internet noch Handy. Es war die Zeit, als wir zum Ärger unserer Eltern stundenlang telefonierten und den Festnetzanschluss blockierten.
Und das, obwohl wir vielleicht gerade mal eine oder gar zwei Stunden von der Schule zurück waren. Dieser eine Satz von damals ist mir bis heute in Erinnerung geblieben. Ich glaube, dass mir nie wieder ein Mensch so etwas wunderbar Schönes von unschuldiger Intensität geprägt und von nachhaltiger Bedeutung gesagt hat. Bis heute habe ich diesen berührenden Wunsch, verpackt in unbeholfene Worte, dem vermutlich keinerlei Egoismus anhaftete, nicht vergessen. Und nein, wir waren nicht lesbisch. Und ja, wir hatten seinerzeit mit Jungs noch keine sexuellen Erfahrungen.

Liebschaft versus Freundschaft
Ich denke, meine damals allerbeste Freundin hat instinktiv gespürt, dass zukünftige Beziehungen mit Männern uns diese Intensität an Nähe, Geborgenheit und freundschaftlicher Qualität nicht würden geben können. Denn eine „Liebschaft“ ist im eigentlichen Sinne keine Freundschaft. Wir hätten damals für unsere Freundinnen vermutlich alles getan. Bis aufs Blut hätten wir sie verteidigt. Sie waren unser Leben, unsere Identität. Sie waren so gut wie alles, was für uns von Bedeutung war. Und ja, ich denke, meine Freundin Bella hatte recht: Kein Mann, der später in mein Leben getreten ist, vermochte mir dieses beglückende Gefühl intensiver Freundschaft zu geben.
Meine besten Freundinnen und ich haben damals unsere Nachmittage in Schwimmbädern verbracht, ganze Sommer lang. Wir haben die Klamotten untereinander getauscht und wussten alles voneinander. In schwierigen oder traurigen Phasen meines Lebens denke ich mit Wehmut an diese wunderschöne Zeit zurück. Und wenn ich ehrlich bin, diese Art von Freundschaften habe ich im späteren Verlauf meines Lebens nicht mehr gefunden. Natürlich bewerte ich das heute weitaus weniger illusorisch. Schließlich ist das viele Jahre her. Dennoch: Eine gewisse Sehnsucht nährt diese Gedanken.

Freundschaften auf Zeit und ohne Exklusivität
Heute weiß ich natürlich, dass man meist nur ein Stück des Weges gemeinsam geht. Damals im Teenageralter spielte der Faktor der Exklusivität insbesondere für mich eine wesentliche Rolle. Eine erwachsene Vorstellung von Freundschaft geht hingegen davon aus, dass Beziehungen nicht exklusiv sind. Die Autonomie des jeweils anderen steht dabei im Vordergrund. Und das ist auch gut so! Meine Freundschaften heute sind zwar nicht exklusiv und vermutlich auch nicht für die Ewigkeit. Dafür sind sie reifer und auf ihre Art exklusiv wertvoll. Und wenn ich meine oftmals überzogenen Ansprüche an andere herunterschraube, dann werden mir sicherlich noch weitere wertvolle Menschen begegnen, die zu guten, engen Freunden werden können. Und wenn auch nur für eine bestimmte Zeit in meinem Leben. Ich habe auf jeden Fall über die Jahre gelernt, dass Freundinnen nicht in allem mit mir übereinstimmen und auch nicht unbedingt alle meine Interessen oder Hobbys teilen müssen.
Mit der einen verbindet mich z. B. die Leidenschaft für die Oper. Mit der anderen gehe ich liebend gerne essen, weil sie wie ich Pizza liebt und wir uns wunderbar und stundenlang beim „Sündigen“ unterhalten und ohne Reue dabei die Bäuche vollschlagen können. Wieder eine andere eignet sich super, um ein neues, kreatives Projekt auf die Beine zu stellen. Die Erwartung, dass die eine nur meine eine beste Freundin ist, dass sie nie etwas mit jemand anderem unternimmt, das ist zumindest meiner Ansicht nach kindisch und unreif. Vermutlich wäre das sogar auf Dauer anstrengend. Ich müsste ihr ja im Gegenzug auch exklusiv zur Verfügung stehen. Dass wir alles miteinander teilen und alles voneinander wissen, hat für mich nicht mehr dieselbe Wichtigkeit oder Bedeutsamkeit wie damals als 15-Jährige.

Interessant und spannend finde ich nun die Frage: Mit welchem Anspruch begegnet die reifere Leserin anderen, damit daraus vielleicht eine gute, enge Freundschaft werden kann? Legst Du auch heute noch Wert auf freundschaftliche Exklusivität oder empfindest Du die Autonomie eher als positiv, weil eine einzige Person ohnehin nicht alle Bedürfnisse/Interessen eines anderen abdecken kann?
2 Antworten
Hallo, ich trauere den Zeiten hinterher, als ich jung war und viele Freunde hatte. Ab da, wo alle eine Beziehung haben, Ehe, Kinder, Familie werden Freundschaften immer oberflächlicher. Mit dem Alter hat das nur indirekt zu tun.
Was für ein Blödsinn! Oberflächliche Freundschaften haben mit oberflächlichen Menschen zu tun, sonst nix